Abbas Khider

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Abbas Khider beim Erlanger Poetenfest 2022

Abbas Khider (arabisch عباس خضر, DMG ʿAbbās Ḫiḍr; geboren am 3. März 1973 in Bagdad) ist ein deutscher Schriftsteller irakischer Herkunft. Sein literarisches Werk befasst sich mit Flucht, Exil und der Zerstörung der Person.

Khider wuchs mit acht Geschwistern auf. Seine schiitischen Eltern handelten mit Datteln und waren Analphabeten. In seinem Elternhaus gab es nur zwei Bücher: den Koran und einen Regierungsbericht, der an alle Iraker verschenkt wurde. Im Alter von 15 Jahren lernte Khider den Koran auswendig und wollte Imam werden.[1] Nach dem Abitur studierte Khider in Bagdad zwei Semester Finanzwissenschaft.[2] Seit seinem 18. Lebensjahr wurde Abbas Khider wegen politischer Aktivitäten gegen das Regime Saddam Husseins sowie auf der Flucht insgesamt elf Mal[3] verhaftet. In den Jahren 1993 bis 1995 wurde er in einem irakischen Gefängnis gefoltert, kam 1996 frei und hielt sich danach auf seiner Flucht in verschiedenen Ländern wie Jordanien und Libyen auf. Dort schrieb er auch Artikel für eine Exilzeitschrift der irakischen Opposition, die in London erschien. Er wollte ursprünglich in den Irak zurückkehren, um gegen Saddam Hussein zu kämpfen, was ihm aber nicht gelang.[4] Im Jahr 2000 fand Khider in Deutschland Asyl. Am Studienkolleg in Potsdam machte er das deutsche Abitur.[5] In München und Potsdam studierte er Literatur und Philosophie. 2007 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.

Seine Werke seien Literatur, mit der er die Stimmung seiner Zeit, seiner Generation wiederzugeben versuche, und nicht Autobiografie, stellte Khider 2013 in einem Interview klar und ergänzte lachend, alles darin sei autobiografisch, sogar das Erfundene.[3] Durch die gewisse Distanz der deutschen Sprache als neuer Heimat gelinge es ihm, „Betroffenheitsliteratur“ zu vermeiden und das Grauen in Heiterkeit umzudichten.[6] Khider nennt „Flucht, Exil, die Zerstörung der Person“ als sein literarisches Programm.[7] Ihm ermögliche die deutsche Sprache eine gewisse Distanz zum Inhalt seiner Romane.[8] 2014 leitete Khider eine Schreibwerkstatt in Kairo, bei der junge arabische Autoren sich Franz Kafkas klaustrophobische Szenerien als Thema ausgesucht hatten, in der sie „ihre eigene Situation wiederfanden. Offenbar muss das Eigene erst fremd werden, damit man von ihm erzählen kann“, vermutete aus diesem Anlass Christopher Schmidt in der Süddeutschen Zeitung.[9]

Khider versteht sich als Teil der deutschen Gesellschaft. Die Probleme dieser Gesellschaft seien seine Probleme. Inzwischen übe er Kritik, denn Selbstkritik sei schließlich erlaubt. In seinem Roman Ohrfeige (2016) geht es nicht mehr um Diktaturen, sondern um die Kehrseite der Demokratie in Deutschland, wie sie sich in Situationen zeigt, die Geflüchteten zugemutet werden, die in Angst vor Abschiebung leben.[10]

Abbas Khider lebt in Berlin. Seit 2010 ist er Mitglied der Schriftstellervereinigung P.E.N.

Khider begann zunächst als Lyriker und Essayist.

Der falsche Inder (2008)

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2008 erschien sein Debüt Der falsche Inder, ein Roman in der Form einer Rahmenerzählung, in der auf einer Zugfahrt Berlin-München ein Manuskript mit arabischem Titelblatt, das niemandem zu gehören scheint, die Aufmerksamkeit von jemandem fesselt, über dessen Jahre der Flucht darin auf Deutsch erzählt wird.[11] 2013 wurde Der falsche Inder unter dem Titel The Village Indian ins Englische übersetzt.[12]

Die Orangen des Präsidenten (2011)

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Abbas Khider liest beim Erlanger Poetenfest 2011

Khiders zweiter Roman, ein „Gefängnis- und Taubenzüchter-Epos“,[13] thematisiert unter anderem das Lachen als Widerstandsform und Überlebensmittel angesichts von Folter. Ein kurzer Vorspann leitet über zu einer – in der Jetztzeit verfassten – „wahren Geschichte“, die als Motto ein Gedicht von Hilde Domin trägt und an deren Ende das 15. Kapitel mit dem Titel „Flucht“ steht. Tauben spielen eine besondere Rolle, die poetisch vielfältig ausgearbeitet ist. Die Lektüre hat bei Andreas Pflitsch eine seltsame Mischung aus Beklommenheit und Trost hinterlassen.[14]

Brief in die Auberginenrepublik (2013)

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Mit seinem Brief in die Auberginenrepublik unternimmt Khider den Versuch, die Komplexität und Vielfalt des Geschehens inmitten der Gewaltkultur einer Diktatur wie in der NS-Zeit oder im Irak Saddam Husseins darzustellen, ein „Regenbogen des Grauens“, in dem jeder von heute auf morgen in Gefängnishaft geraten kann, egal, was man zuvor gedacht oder getan haben mag oder nicht.[15]

Ohrfeige (2016)

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In seinem vierten Roman befasst sich Abbas Khider mit gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland Anfang des Jahrtausends. Aus der Perspektive seines Ich-Erzählers Karim schildert der Autor die Nöte, das Warten und die Ängste von irakischen Geflüchteten in Bayern, die Asyl in Deutschland suchen. Es handelt sich um eine Rahmenerzählung mit einer Reihe von Binnenerzählungen, die auf drei verschiedenen sprachlichen Stilebenen angesiedelt sind.

Als eine humane Geste des Autors wurde es von Insa Wilke in ihrer Rezension von Die Orangen des Präsidenten empfunden, dass Abbas Khider mithilfe des Gelächters seine deutschsprachigen Leser vor dem schützt, was er eigentlich erzählt. Das sei ein Geschenk.[16]

Nach der Veröffentlichung seines Buches Deutsch für Alle wurde Abbas Khider teils heftig kritisiert (laut Khider auch äußerst geschmacklos von AfD-Politikern[17]). Er schlug im Buch vor, die deutsche Sprache zu vereinfachen, was es vor allem Migranten erleichtern würde, die Sprache zu erlernen. Er erklärte, dass es sich bei dem Vorschlag um Satire gehandelt habe. Dennoch sehe er sich (Stand Febr. 2022) immer wieder gezwungen, seine E-Mail-Adresse und Telefonnummer zu ändern.[18]

Über Abbas Khider und sein Werk

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Commons: Abbas Khider – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Katharina Menne und Arnfried Schenk: Haben Sie manchmal Heimweh, Abbas Khider (Interview)? In: Die Zeit. 17. Februar 2022. S. 39
  2. Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch. München 2019. S. 48.
  3. a b Katharina Kretzschmar: Irakischer Autor Abbas Khider im Interview. »Die Literatur kann den Menschen eine Stimme geben, die keine haben« (Memento vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive), Interview In: Zenith – Zeitschrift für den Orient. 16. September 2013.
  4. Johanna Adorján: Wie eine neue Geburt. Interview. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 13. März 2011, S. 28.
  5. Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch. München 2019. S. 50.
  6. Berkan Cakir: Das Grauen in Heiterkeit umdichten, stuttgarter-zeitung.de, 29. Januar 2015, abgerufen am 3. Juni 2015.
  7. Sebastian Hammelehle: Opfer und Täter. Der Spiegel, 30. Januar 2016, S. 130–131, hier S. 130.
  8. additional information on Abbas Khider: “The Village Indian” (Der falsche Inder). (PDF) Edition Nautilus, archiviert vom Original am 2. Dezember 2013; abgerufen am 13. März 2022.
  9. Christopher Schmidt: Fremdenzimmer. Über schreibende Weißbrote und Onkel-Tom-Literatur. In: Süddeutsche Zeitung. Bayern-Ausgabe, 24. Januar 2015, S. 15.
  10. Carsten Hueck: Abbas Khider: Ohrfeige (Memento vom 1. Februar 2016 im Internet Archive) (Link zum MP3-Download), in: SWR2 Literatur, 31. Januar 2016 (verfügbar bis: 25. Januar 2017, 17.05)
  11. Die German List. Abbas Khider: „The Village Indian“ in der Übersetzung von Donal McLaughlin, goethe.de
  12. The Village Indian (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) auf der Webpräsenz des Verlags Seagull Books, abgerufen am 22. November 2013.
  13. Hilde-Domin-Preis 2013 geht an Abbas Khider, Kulturamt der Stadt Heidelberg, heidelberg.de
  14. Andreas Pflitsch: Khider, Abbas. Die Orangen des Präsidenten. Kindlers Literatur Lexikon, Mai 2015.
  15. Katharina Kretzschmar: Irakischer Autor Abbas Khider im Interview. »Die Literatur kann den Menschen eine Stimme geben, die keine haben« (Memento vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive), Interview In: Zenith – Zeitschrift für den Orient. 16. September 2013.
  16. Insa Wilke: Die Zeit begräbt die Wahrheit nicht. In: Süddeutsche Zeitung. 6. November 2014, S. 14.
  17. Shitstorm gegen Abbas Khider. Das Buch „Deutsch für alle“ provoziert, Deutschlandfunk Kultur, 26. März 2019 https://www.deutschlandfunkkultur.de/shitstorm-gegen-abbas-khider-das-buch-deutsch-fuer-alle-100.html
  18. Interview mit Abbas Khider, geführt von Katharina Menne und Arnfried Schenk in Die ZEIT: Haben Sie manchmal Heimweh, Abbas Khider? Nr. 8, 17. Februar 2022, S. 39.
  19. Vom Warten wird man immer blöder. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 24. Januar 2016, S. 43.
  20. Poetik-Dozentur Winter 2012/13. auf uni-koblenz-landau.de
  21. Stadt Heidelberg Pressedienst vom 30. April 2013: „Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil 2013“ der Stadt Heidelberg geht an Abbas Khider. auf heidelberg.de, abgerufen am 30. April 2013.
  22. Brief in die Auberginenrepublik. Edition Nautilus, abgerufen am 13. März 2022.
  23. Mainzer Klause in FAZ vom 23. September 2016, Seite 11
  24. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 22. Februar 2023, S. 23.
  25. Löffler, Sigrid: Die neue Weltliteratur und ihre grossen Erzähler. Verlag C.H.Beck oHG, abgerufen am 13. März 2022.